Musik beeinflusst unser Gehirn von klein auf. Forscher*innen vermuten, dass Föten durch die starke körperliche Reaktion ihrer Mütter bereits im Mutterleib auf Musikwahrnehmung geprägt werden. Bereits ab der 28. Woche, also zu Beginn des dritten Trimesters der Schwangerschaft, verändert sich die Herzfrequenz, wenn der Fötus ein bekanntes Lied hört. Ab der 35. Woche verändert sich sogar das Bewegungsmuster. Wird da bereits eine Vorliebe für Musikrichtungen angelegt?
Es ist bekannt, dass der Musikgeschmack im Laufe der Zeit, je nach Region und sogar je nach sozialer Gruppe, variiert. Was also passiert, dass wir am Ende so unterschiedliche Musikgeschmäcker haben?
Gefühle und der (Noten-)Schlüssel zu Vorhersagen
Eine Studie aus dem September 2021 zeigte, dass Vorhersagemechanismen im Gehirn ablaufen, wenn wir Musik hören. Ohne uns dessen bewusst zu sein, bilden sich Erwartungen über den Musikverlauf aus. Diese Vorhersagen werden im sogenannten auditorischen Kortex erzeugt und mit der tatsächlich gehörten Note zusammengeführt. Das kann auch schief gehen und zu einem Vorhersagefehler führen.
Bereits 1956 stellte der US-amerikanische Komponist und Musikwissenschaftler Leonard Meyer die Theorie auf, dass Emotionen in der Musik durch ein Gefühl der Zufriedenheit oder Frustration ausgelöst werden. Diese speisen sich aus den Erwartungen der Hörenden. In der heutigen Forschung lassen sich Emotionen (z.B. Freude, Traurigkeit oder Ärger) in zwei grundlegende Dimensionen unterteilen, die Valenz und die psychologische Aktivierung. Sie messen, wie positiv eine Emotion ist (z.B. Traurigkeit gegenüber Freude) und wie aufregend sie ist (Langeweile gegenüber Ärger).
Die Kombination dieser beiden Dimensionen definiert u.a. die Intensität der Emotionen. Der Zusammenhang zwischen Vorhersagefehler und Emotion konnte so präziser untersucht werden. In Studien führten zum Beispiel Musiknoten, die weniger genau vorhergesagt wurden, zu Emotionen mit größerer psychologischer Aktivierung, nicht aber unbedingt zu Frustration.
In der Geschichte der kognitiven Neurowissenschaften wurde Vergnügen oft mit dem Belohnungssystem in Verbindung gebracht, insbesondere im Hinblick auf Lernprozesse. Studien haben gezeigt, dass es bestimmte dopaminerge Neuronen gibt, die auf Vorhersagefehler reagieren. Dieser Prozess ermöglicht es uns unter anderem, über die Welt um uns herum zu lernen und sie vorherzusagen. Es ist noch nicht klar, ob Vergnügen das Lernen antreibt oder umgekehrt, aber die beiden Prozesse sind zweifellos miteinander verbunden. Dies gilt auch für die Musik.
Wenn wir Musik hören, bereitet es uns das größte Vergnügen, wenn wir Ereignisse mit nur mäßiger Genauigkeit vorhersagen können. Mit anderen Worten: Zu einfache und vorhersehbare Ereignisse – oder auch zu komplexe – führen nicht unbedingt zu neuem Lernen und erzeugen daher nur wenig Freude. Das meiste Vergnügen bereiten uns die Ereignisse, die dazwischen liegen – jene, die komplex genug sind, um unser Interesse zu wecken, die aber auch mit unseren Vorhersagen übereinstimmen, um ein Muster zu bilden.
Vielseitiges Musikhören eröffnet so immer neue Wege zum Verständnis auch kulturell unterschiedlicher Rhythmen und Melodienführung, inkl. der beteiligten Emotionen. Es erweitert die Möglichkeit, spannend falsch vorherzusagen, wenn wir ein neues Stück hören. Die eigene Musikkultur (d.h. die Musik, die wir im Laufe unseres Lebens gehört haben) verändert unsere Wahrnehmung und führt dazu, dass wir bestimmte Stücke gegenüber anderen bevorzugen, im Wechselspiel von Ähnlichkeit und Kontrast zu Stücken, die wir bereits gehört haben.
Da schließt sich auch die Brücke zu chiropraktischen Überzeugungen. Entlang der fünf Säulen nach Hippokrates ist die systemeigene Pendelbewegung zwischen anregender Herausforderung und regelmäßiger Entspannung wichtige Selbstfürsorge. Ein Zuviel führt zu ungesunder Überlastung, gemeinhin Stress, ein zu wenig zu Degeneration (des Bewegungs- wie neurologischen Systems). In den Augen des portugiesischen Neurowissenschaftlers Antonio Damasio ist unser gesamtes psychisches Leben geprägt durch das andauernde Streben nach einer Balance: Die Harmonie zwischen zwei uns innewohnenden Gehirntypen. Ein kognitiver: bewusst, rational und der Außenwelt zugewandt, sowie ein emotionaler: unbewusst, in erster Linie aufs Überleben bedacht und in engem Kontakt mit dem Körper. Für unsere neuronale Struktur können wir daraus lernen, dass unsere bewussten Entscheidungen und Einstellungen geprägt sind von unbewussten Prozessen. Die entwickeln sich auch unabhängig von unserer reinen Vernunft, aber nicht entkoppelt von unserer Umwelt und der Art, wie wir mit ihr interagieren.
P.S.: Und was ist mit Geräuschen?
Vielen ist die entspannende Wirkung von Naturgeräuschen wie Wellenrauschen oder Vogelgezwitscher bekannt. Wieso? Je nach Klangart, künstlich oder natürlich, verändert sich bei Untersuchungen im Hirnscanner die Funktion des sogenannten Grundeinstellungsnetzwerks. Das ist ein Verbund aus verschiedenen Hirnregionen, die man im hinteren, oberen Bereich des Gehirns findet. Neurowissenschaftler Henning Beck schreibt dazu in einem GEO Artikel: „Vogelgezwitscher & Co. führten dazu, dass diese Region so aktiviert wurde, dass man die angenehmen äußeren Geräusche tatsächlich zur Stressreduktion nutzen konnte (…) Obendrein schnitt man in Aufmerksamkeitstests besser ab als unter Einfluss künstlicher Geräusche. Denn Letztere veränderten die Gehirnaktivität derart, dass man sich plötzlich mehr auf sich selbst konzentrierte – dadurch weniger aufmerksam war und nicht so gut Stress abbaute.“
Quellen:
https://www.mpg.de/8216287/musik-erhoeht-blutdruck-in-der-schwangerschaft
https://www.jneurosci.org/content/41/35/7449
https://theconversation.com/why-certain-types-of-music-make-our-brains-sing-and-others-dont-194100
https://www.geo.de/magazine/geo-magazin/16810-rtkl-hirnforschung-darum-wirken-naturgeraeusche-so-entspannend
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